Sozialpartner auf Irrwegen

Mittlerweile erkennt man – allen Lobliedern zum Trotz die in Sonntagsreden über die Sozialpartnerschaft geschwungen werden – auch in Gewerkschaftskreisen zunehmend, dass diese quasi zum „Nationalheiligtum“ erklärte Institution und die damit verbundene Politik nicht mehr so geschmiert läuft wie das in den Jahren des unendlich erscheinenden Wirtschaftsaufschwunges bis in die 1980er Jahre als gottgegeben angenommen wurde.

Mit dem Wegfall der Systemkonkurrenz konnte auch in Österreich ab Anfang der 1990er Jahre das Kapital die Sau rauslassen und auf bis dahin übliche Rücksichtnahme gegenüber der arbeitenden Klasse zunehmend verzichten. Das zeigte sich nicht nur bei KV-Verhandlungen – etwa als in der Metallbranche die bis dahin üblichen einheitlichen Verhandlungen auf sechs Industriegruppen aufgesplittet wurden.

Nach dem Motto „Teile und herrsche“ sollte damit die Kampfkraft der Lohnabhängigen bzw. ihrer Gewerkschaften geschwächt und die Konkurrenz der arbeitenden Menschen untereinander forciert werden. Speziell in schwarz-blauen bzw. schwarz-grünen Regierungszeiten, als die SPÖ nicht mehr an den Schalthebeln der Macht war und die Gewerkschaft wie selbstverständlich Minister stellte, wurde spürbar, dass von oben herab Kapitalwünsche auf Kosten der Lohnabhängigen zunehmend offenherzig durchgeboxt wurden und werden.

Bei allem Frust über das zunehmend unverschämte Agieren der Kapitalseite setzen allerdings immer noch manche Spitzengewerkschafter auf das in die Jahre gekommene Modell, dessen Basis die Behauptung ist, dass die Eigentümer der Produktionsmittel und deren Lohnsklaven auf einem gemeinsamen Ast sitzen würden an dem keinesfalls gesägt werden dürfe. So einer ist Bau-Holz-Gewerkschafter und FSG-Boss Josef Muchitsch, der völlig unzeitgemäß immer noch in der unsäglichen Betonierer-Tradition seines Vorgängers Franz Olah agiert, der 1950 mit kräftiger Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA beim Oktoberstreik protestierende Arbeiter*innen niederknüppeln ließ.

Jüngstes Beispiel einer solchen sozialpartnerschaftlicher Kooperation ist ein gemeinsames Auftreten von Muchitsch mit dem Bundesinnungsmeister der Bauwirtschaft, Robert Jägersberger. Gemeinsam machten sich die beiden dafür stark, dass unter dem Motto „Kreditbremse kostet Arbeitsplätze und lässt Traum vom Eigenheim platzen“ (OTS0078, 10.2.2023) die von der Finanzmarktaufsicht erlassenen Kriterien für die Vergabe von Krediten für „Häuslbauer“ aufgeweicht werden sollten.

Die aktuelle Verordnung erlaubt nämlich Immobilienkredite über 50.000 Euro nur mehr dann, wenn mindestens 20 Prozent Eigenmittel aufgebracht werden, die monatliche Rückzahlungsrate unter 40 Prozent des Haushaltseinkommens beträgt und die Laufzeit mit 35 Jahren begrenzt wird. Da wird es für ein Objekt – egal ob Eigenheim, Eigentumswohnung oder Reihenhaus – mit Kosten von durchschnittlich 330.000 Euro freilich schon eng.

Die FMA hatte freilich diese Kriterien aus gutem Grund – und auch durch EU-Vorgaben – verschärft. Damit soll nämlich verhindert werden, dass angesichts wieder steigender Zinsen sich Menschen Hals über Kopf verschulden und mit dem Abzahlen teurer Kredite jahrzehntelang am Gängelband der Banken hängen, womit das geradezu als „Menschenrecht“ auf ein Eigenheim deklarierte Eigentum sehr schnell als gravierende Unfreiheit demaskiert wird.

Geradezu absurd dabei ist, dass die Befürworter von Lockerungen – vor allem der ÖVP und FPÖ – auch fordern, Wohnbauförderungen für Häuslbauer als Eigenmittel einzurechnen. Ganz so als ob es normal wäre, dass mit Steuergeldern Eigentum gefördert werden müsste, wie das leider seit Jahrzehnten der Fall ist. So standen etwa 2022 in Oberösterreich den 1.559 geförderten Mietwohnungen 1.744 Förderungen für Eigentum (1.136 Eigenheime, 608 Eigentumswohnungen) gegenüber (OÖN, 28.2.2023). Im Klartext wurde die Mehrheit der Förderungsgelder für den Erwerb von Eigentum aufgewendet statt wie eigentlich vorgesehen für die Errichtung leistbarer Wohnungen im sozialen Wohnbau.

Der ehemalige oberösterreichische SPÖ-Wohnbaulandesrat Leo Habringer hatte das in den 1970er Jahren mit dem Sager „Wer Eigentum will, muss sich das mit eigenen Mitteln schaffen, nicht aber mit Steuergeldern“ recht treffend auf den Punkt gebracht. Was allerdings auch seine SPÖ – die jahrzehntelang die Wohnbaureferenten des Landes stellte – nicht hinderte, zig Millionen Steuergeld für Häuslbauer aufzuwenden, statt diese in den sozialen Wohnbau zu pumpen.

Getoppt wird das aktuell von Burgenlands SPÖ-Chef und Landeshauptmann Doskozil: Dieser hat einen Frontalangriff auf den sozialen Wohnbau durch Gemeinden und gemeinnützige Bauvereinigungen gestartet. Er will die Wohnbauförderungsmittel in eine Tochtergesellschaft des Landes zur Errichtung von Eigenheimen umleiten, die nach 30 Jahren in den Besitz der „Häuslbauer“ übergehen (Standard, 1.2.2023). Das von der ÖVP seit langem propagierte Modell des Mietkaufs lässt grüßen.

Leider setzen auch sich als „gemeinnützig“ bezeichnende Wohnbaugesellschaften auf diesen falschen Kurs: „Häuser sind Ladenhüter“ titelt das Krawallblatt (Krone, 5.3.2023) und lässt der Geschäftsführer der GIWOG (Eigentümer Raiffeisen und Wiener Städtische), Wolfgang Modera über durch Teuerung und neue Kreditbestimmungen unverkäufliche Reihenhäuser klagen. Von 46 Interessent*innen für 14 Reihenhäuser der GIWOG in Feldkirchen (Bezirk Urfahr-Umgebung) zum Stückpreis von mehr als 0,5 Mio. Euro seien nur drei übriggeblieben.

Bezeichnend für den Auftritt von Muchitsch und Jägersberger ist freilich, dass in ihrem Plädoyer der soziale Wohnbau nicht vorkommt. Denn wenn es um Impulse für die Bauwirtschaft, sprich Arbeitsplätze, geht, müsste dieser an erster Stelle stehen. Der Bau von Eigenheimen erfolgt erfahrungsgemäß großteils durch Eigenleistungen und Nachbarschaftshilfe – sprich im Pfusch – und hat wenig Wirkung für Arbeitsplätze am Bau. Ganz anders als die Errichtung von leistbaren Mietwohnungen durch Gemeinden und gemeinnützige Bauvereinigungen, die tatsächlich auch für den Arbeitsmarkt am Bau ein wichtiger Impuls sind.

In Kombination mit einer desaströsen Raumordnungspolitik findet mit der „Häuslbauerei“ bereits seit Jahrzehnten eine – in Oberösterreich etwa im Vergleich mit dem benachbarten Bayern unschwer feststellbare – die Umwelt zerstörende und die Infrastruktur schwer belastende Zersiedelung des Landes statt. Damit wird nicht nur der in den Sonntagsreden von Kapital, Politik und Medien propagierte Traum vom individuellen Wohnen ad absurdum geführt.

Der Schriftsteller Robert Menasse brachte diese Melange recht treffend auf den Punkt: „Ich finde, dass sehr viele Häuslbauer-Häuser viel weniger ins Landschaftsbild passen als ein Minarett“ (Standard 2./3.10.2010). Diese Entwicklung ist auch mit enormen gesellschaftlichen Kosten für die Aufschließung und Infrastruktur verbunden und stellt einen weiteren negativen Aspekt dar, der in Zeiten von Klimaschutz unverantwortlich ist.

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