Betonierer mit Werkzeugkoffer

Hannes Pressl hat ein schweres Erbe angetreten. Der Bürgermeister von Ardagger (NÖ) stieg zum Präsidenten des Gemeindebundes auf, nachdem sein Vorgänger Alfred Riedl als Bürgermeister von Grafenwörth (ebenfalls NÖ) an Grundstücksgeschäften zu eigenen Gunsten scheiterte und trotz hartnäckigem Widerstandes schmählich zurücktreten musste. Der Gemeindebund bleibt also fest in der schwarzen Hand der niederösterreichischen ÖVP, der „Herzkammer“ der durch diverse Korruptionsskandale mächtig ins Trudeln gekommenen Volkspartei.

Die Hinterlassenschaft der Ära Riedl ist einerseits der 2023 von Finanzminister, Landeshäuptlingen, Städte- und Gemeindebund mit großer Lobhudelei gefeierte Finanzausgleich für die Jahre 2024 bis 2028. Der sich allerdings kaum ein Jahr später als Flop herausstellt, weil viele finanzschwache Gemeinden zu Abgangsgemeinden werden. So kann etwa in Oberösterreich rund ein Drittel der 438 Kommunen den Haushalt nicht mehr mit eigenen Mitteln ausgleichen und ist auf Landeshilfe angewiesen.

Andererseits verfolgt Pressl das Thema Bodenverbrauch – und er hat schon in seinem Antrittsinterview im ORF kundgetan, dass er aus der Causa Riedl nichts dazugelernt hat (ORF Mittagsjournal, 27.2.2024). Das gibt er auch im Magazin des Gemeindebundes hartnäckig wieder (Kommunal, 4/2024). Da macht er zwar die Ansage „Wir wollen und werden Boden sparen“, gleichzeitig ist aber von einer „realitätsferne 2,5-Hektar-Grenz-Debatte“ die Rede und dass kleinen Gemeinden gar nur mehr „zwölf Quadratmeter Bodenverbrauch pro Tag“ zugestanden würde. Und Pressl schwadroniert von einem für die Gemeinden „tauglichen Werkzeugkoffer“ für den Bodenverbrauch.

Massiv assistiert wird der Präsident von seinem Generalsekretär Walter Leiss mit dem Diktum „Was es nicht braucht, ist ein 2,5-Hektar-Ziel, das seit 2002 besteht“ – und mit einer scharfen Attacke auf die sonst bei Politiker:innen so beliebten Expert:innen. Leiss beklagt „Zunehmend wird es aber schwieriger, seine Entscheidungen auf die Expertise von Fachkräften zu stützen.“ Gemeint ist in erster Linie die ÖROK (Österreichische Raumordnungskonferenz) und deren nationale Bodenstrategie.

Leiss gesteht zwar ein, dass die rücksichtslose Begradigung von Flussläufen und der großzügige Straßenbau vor 40, 50 Jahren heute anders gesehen werden muss. Und er räumt auch ein, dass die Interessen der Ziviltechnikerkammer gegen jene der Bauwirtschaft stehen, versucht aber gleichzeitig Klima-, Natur- und Artenschutz, Biodiversität und Ernährungssicherheit gegen Arbeitsplätze und Wohnbau auszuspielen. Dass ihm dabei auch die EU-Vorgabe vier Prozent der Agrarflächen für Renaturierung zu reservieren ein Gräuel ist, verwundert da auch nicht mehr.

Konträr dazu steht hingegen die Plattform Baukulturpolitik, die auf den Widerspruch hinweist, dass der Bodenverbrauch „jeden einzelnen Tag um 12 Hektar“ zunimmt, aber gleichzeitig „immer mehr Leerstand und Brachen“ vorhanden sind. Es bräuchte Akteure „die etwas Besseres wollen als den heutigen banalen Durchschnitt“, nämlich Leerstandsnutzung und Bestandsentwicklung.

Die schwarzen Betonierer im Gemeindebund gehen nun also mit ihrem „praktikablen Werkzeugkoffer“ hausieren und stützen sich auf eine im Februar 2024 in Linz stattgefundene Konferenz der zuständigen Landesrät:innen – im sattsam bekannten österreichischen Föderalismusgeist gezielt an der ÖROK und sogar an den Parteifreunden in der Bundesregierung vorbei. Man gibt vor „mit der Ressource Boden sorgsam und verantwortungsvoll umzugehen“ und sorgt sich scheinheilig um „Neuboden“ für die Errichtung von „Kindergärten, Radwegen, Umspannwerke und Leitungstrassen oder Windkraftanlagen zur Energiewende“.

Nicht die Rede ist bezeichnenderweise von Luxusbauten oder Chalets betuchter Investoren auf wertvollem Grünland, monströsen Supermärkten am Ortsrand oder an Umfahrungen oder Industriebauten auf wertvollem Ackerland. Dafür wird über „steuerliche Anreize und Förderungen“ und die Widmungskompetenz der Gemeinde schwadroniert.

Worum es wirklich geht, zeigen hingegen Berichte wie etwa von Nora Zoglauer (ORF Schauplatz 11.4.2024), wie Bürgermeister (durchwegs solche der ÖVP) höchst umstrittene Projekte in den schönsten Gegenden des Landes für dubiose Investoren zum Schaden der Gemeinde durchwinken – und sich die ÖVP dann wundert, wenn sie für korrupt angesehen wird. Der Fall Riedl in Grafenwörth ist ein exemplarisches Beispiel dafür. Ähnliche Fälle in Hinterstoder, Stainz, Kitzbühlen, Gmunden oder Ohlsdorf bestätigen das.

Dass es auch anders geht, zeigt sich im benachbarten Deutschland, wo nicht die unter dem Druck der Wiederwahl stehenden Bürgermeister das Sagen über Flächenwidmung und Verbauung haben, sondern die Landräte aus einer übergeordneten Sicht und konkrete Festlegung von Baugebieten in der jeweiligen Gemeinde statt willkürlicher Widmungen „Marke Fleckerlteppich“. Die ebenso unübersehbare wie hemmungslose Zersiedelung des ländlichen Raumes in Österreich, die vom Gemeindebund mit Zähnen und Klauen verteidigt wird widerspricht allen elementaren Vorstellungen einer zukunftsweisenden Boden- und Raumordnungspolitik und mit eine Ursache für die Finanzschwäche der Kommunen durch ausufernde Kosten für teure Infrastruktur und Aufschließungskosten.

Beim Trommelfeuer gegen ein Bodenverbrauchsziel will auch die amtierende Bundesratspräsidentin Margit Göll, Bürgermeisterin von Moorbad Harbach (ebenfalls NÖ) ihren Senf dazugeben und lamentiert ultimativ über „Nachhaltige Entwicklung statt ideologischer Träumereien“. Sie erklärt gleich auch das Umweltbundesamt zu Deppen, weil dieses „in seiner Methodik zur Berechnung der Bodenversiegelung den ländliche Raum zu Verlierern gegenüber den Städten gemacht“ habe und regt sich über den WWF auf, weil dieser gefordert hatte, dass „die Zeit des Betonier-Föderalismus“ vorbei sein müsse.

Das „heiße Eisen“ hat im Zusammenhang mit dem enormen Leerstand – der statt Umwidmung von Grünland in Bauland für neue Bauvorhaben zu nützen wäre – hat freilich mittlerweile auch die ganz hohe Politik insofern erreicht, als sogar ÖVP-Minister Norbert Totschnig zur Beschwichtigung ausrückt. Er schüttet für die Reaktivierung von Leerständen 13 Millionen Euro und Aufwertung von lebendigen Orts- und Stadtkernen ebenfalls 13 Millionen Euro aus. Von einer wirksamen Leerstandsabgabe, um die Spekulation einzubremsen will er freilich nichts hören.

Bezeichnend für die ÖVP, die im oö Landtag am 11. März 2024 in trauter Eintracht mit der FPÖ einen Antrag von SPÖ und Grünen niederstimmte – mit der boshaften Anmerkung von FPÖ-Klubchef Herwig Mahrer, dass ein ähnlicher Antrag der KPÖ im Linzer Gemeinderat von der SPÖ (gemeinsam mit FPÖ, ÖVP und NEOS) ähnlich niedergestimmt wurde.

Auf recht saloppe Art möchte der für Bodenpolitik zuständige oö Landesrat Markus Achleitner (ÖVP) das Problem lösen. Nach dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht“ will er als Kampfansage an das Umweltbundesamt den Bodenverbrauch mit eigene Messungen reduzieren (OÖN, 11.4.2024). Damit wird der Verbrauch flugs von 4,25 Hektar pro Tag auf magere 0,56 Hektar geschrumpft. So einfach ist die schwarze Wunderwelt. Blöd nur, wenn sich die Realität nicht an Achleitners Vorstellungen hält.

Als „Bodenretter“ für die uneingeschränkte Freiheit der Eigentümer für Missbrauch und Spekulation tritt schließlich Andreas Kreutzer vom einschlägigen Beraternetzwerk Kreutzer, Fischer & Partner auf die Bühne. Auch er sorgt sich scheinheilig, dass man bei einem verbindlichen Ziel für den Bodenverbrauch die Flächen für „Kindergärten, Altersheime oder Kommunaleinrichtungen um 85 bis 95 Prozent verringert“ werden müssten. Und wenn – oh Schreck, oh Graus – „jährlich bundesweit nur noch rund 1.000 neue Eigenheime möglich“ würden, statt der 16.500 in den letzten zwei Jahrzehnten.

Was laut Kreutzer „die Spaltung der Gesellschaft weiter vertiefen“ würde, wenn den Habenichtsen „der Zugang zum eigenen Haus verwehrt bleibt“, das „letzte, mächtige, physische Zeichen für Erfolg und Wohlstand“. Dabei hat Barbara Blaha richtiggestellt, dass die Fixierung auf das Eigenheim im Grünen „Der kaputte Kompass der Politik“ ist (Standard, 13.4.2024).

Kreutzer schießt gleich auch noch eine Breitseite gegen den Bund, der versucht „mit fiskalischen Mittel, den Föderalismus zu untergraben“. Weil nämlich geplant ist, mit einer Flächenwidmungs- und Versiegelungsabgabe und einer Widmungs- und Versiegelungsabgabe den Bodenfraß einzubremsen. Und im Übrigen meint Kreutzer, dass die Biodiversität weniger vom Einfamilienhaus, sondern durch die Industrialisierung der Landwirtschaft bedroht ist und Österreich „praktisch nichts zur Rettung des Weltklimas beitrage“ könne. Wozu freilich so gar nicht passt, dass laut Bilanz des diesjährigen Welterschöpfungstages Österreich auf Platz elf der größten Ressourcenverbraucher weltweit rangiert.

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