Falsche Mythen um die Wehrpflicht

„Ein Berufsheer ist der Wunsch jener Kreise, die unbedingt im Ausland Krieg spielen wollen. Und das können sie mit einem reinen Wehrpflichtigenheer natürlich nicht. Die wollen ein Berufsheer, weil sie dann keine Rücksicht auf die Bevölkerung nehmen müssten“ meint Eduard Paulus, Präsident der Offiziersgesellschaft (Der Standard, 18.7.2010).

Die Geschichte bestätigt diese Auffassung freilich nicht. Denn die schrecklichsten Kriege des 20. Jahrhunderts, Kriegsverbrechen inklusive, wurden nicht von Berufsarmeen geführt, sondern von Wehrpflichtigen die gegen ihren Willen „freiwillig“ zur K.u.K.-Armee oder zur Nazi-Wehrmacht eingezogen wurden, vielfach auch (zumindest zu Kriegsbeginn) mit Begeisterung für das „Vaterland“ in den Krieg gezogen sind. Daher ist die Formel „Berufsheer = Krieg“, was im Umkehrschluss dann wohl lauten soll „Wehrpflicht = Frieden“, etwas gar zu simpel, wurden doch in allzu vielen Kriegen nur zu gerne Wehrpflichtige geopfert.

So verwundert es schon sehr, wenn sich heute ausgerechnet manche Friedensgruppen einer solchen Argumentation bedienen und als eifrige Verteidiger des Bundesheeres erscheinen. Dass sie um 1990, wie etwa die heutige Solidarwerkstatt, als AktivistInnen der „BürgerInneninitiative Österreich ohne Heer“ ebenso eifrig für die Abschaffung des Bundesheeres waren, scheint ihnen wohl entfallen zu sein. Ebenso, dass die vormalige Friedenswerkstatt Linz sich noch 1999 via Presseerklärung für die Abschaffung des Bundesheeres ausgesprochen hat.

Nun kann man das natürlich auch aus stramm „revolutionärer“ Sicht betrachten wie einem Mail an den KPÖ-Bundesvorstand zu entnehmen war: „Ein Volk muss gebildet sein! Ein Volk muss schießen können! (Und zwar nicht mit Mistgabeln) Alle Macht dem Volk!“ Kaum zu glauben wie manche Nachgeborene im 21. Jahrhundert das völkische Denken und die Volksgemeinschaft unseligen Angedenkens involviert haben.

Auf ähnlicher Ebene agiert eine Gruppe namens „Gewerkschafter gegen Atomenergie“ (GGAE) die der KPÖ vorwirft „das Heer abschaffen werden die Herrschenden nie“ was ja wohl niemand angenommen hat. Wenn schon muss es gegen den Willen der Herrschenden erfolgen was zwangsläufig eine Massenbewegung voraussetzt wie das übrigens bei jeder wesentlichen Veränderung der Fall ist. Die Illusion das Bundesheer via Wehrpflicht als Instrument revolutionärer Umwälzung in die Hand zu kriegen dürfte hingegen bei der genannten Gruppe sehr wohl vorhanden sein. Und auch das GGAE-Team agiert völkisch, wenn es die Forderung nach Abschaffung des Bundesheeres mit dem Vorwurf „aber von der Wirkung her: am Volk vorbei!“ abfertigen will.

Desillusionierendes zur Heiligsprechung der Wehrpflicht gibt auch Eduard Paulus, Präsident der Offiziergesellschaft von sich („Presse“-Interview 12.11.2012). Er definiert die „Grenzsicherung und die Unterstützung der Polizei beim Schutz wichtiger Infrastruktur“ als Hauptaufgaben des Bundesheeres und meint dass dazu „die Wehrpflicht einfach billiger“ ist. „Die Berufsheervariante taugt nur für Auslandseinsätze“, wie bekanntlich auch bisher schon Berufssoldaten zu Blauhelm-Einsätzen angeworben wurden. Paulus erklärt auch, dass man für den Katastrophenschutz „nicht unbedingt ein Bundesheer“ braucht. Dass seit 2005 keine Reservisten mehr zu Milizübungen einberufen wurden zeigt zudem, dass das einst gepriesene Milizsystem systematisch zugunsten der Ein- und Unterordnung des Bundesheeres in eine Euro-Armee deformiert wurde.

Auch wenn es manche nicht glauben mögen: Die KPÖ hat schon bei der Aufstellung des Bundesheeres im Jahre 1955 eine Volksabstimmung verlangt ob die ÖsterreicherInnen überhaupt ein Heer wollen. Und sie hat sich schon bei ihrem 21. Parteitag 1970 für die Abschaffung des Bundesheeres ausgesprochen und das im Laufe der folgenden Jahrzehnte bei zwischenzeitlichen Abschwächungen wiederholt bekräftigt. Da braucht also niemand überrascht Haltung sein, wenn sie heute als einzige Partei eine wirklich konträre und konsequent antimilitaristische Position zu den Regierungs- und Parlamentsparteien einnimmt.

In der Frontstellung Wehrpflicht (ÖVP, FPÖ, Generalität) kontra Berufsheer (SPÖ, Grüne, BZÖ, Stronach, Piraten, Boulevard) wird ja systematisch ausgeblendet, dass es eine dritte Variante gibt, nämlich die Auflösung des Bundesheeres als Ausdruck eines konsequenten Antimilitarismus. Hatte schon Wilhelm Liebknecht gefordert „Dem Militarismus keinen Mann und keinen Groschen“, so stellt sich auch für Österreich die Frage, ob Neutralität nicht auch unbewaffnet, nämlich aktiv politisch, wahrgenommen werden könnte.

Wenn daher Vertreter von sich als friedensbewegt definierenden Gruppen die Forderung nach Abschaffung als Ablenkung oder gar als Unterwerfung unter die Militarisierung der EU bezeichnen ist das daher ziemlich seltsam und erinnert eher an die Haltung des Milizverbandes oder der Offiziergesellschaft. Aber vielleicht ist es die Gemeinsamkeit eines autoritären Denkens, die solche seltsamen Zusammenschlüsse hervorbringt. Und nicht nur die „Kleine Zeitung“ findet es seltsam, wenn sich der steirische Landtagsabgeordnete Murgg gemeinsam mit der FPÖ bei einer Veranstaltung der Offiziersgesellschaft für die Wehrpflicht stark macht.

Der Pazifist und Antimilitarist Kurt Tucholsky hat den Satz „Soldaten sind Mörder“ geprägt und wurde deswegen von den Rechten verfolgt. Das Militär ist bekanntlich eine höchst autoritäre Organisation zum Zwecke des Mordens. Das liegt im Wesen des Krieges, zu dessen Zweck Armeen aufgestellt werden. Auch wenn das österreichische Bundesheer im Vergleich zu seinen Vorläufern wie auch zu Armeen anderer Länder dabei vergleichsweise „liberal“ sein mag – jeder der „dienen“ musste kennt den autoritären Betrieb aus eigener Erfahrung. Vergleiche mit der Arbeitsorganisation in Betrieben als Rechtfertigung sind daher wohl ziemlich fehl am Platze. Denn Demokratie oder Mitbestimmung sind nun mal in einer Armee nicht vorgesehen.

Besonders findige Köpfe meinen gar, Österreich bräuchte eine Armee von Wehrpflichtigen um sich nicht in der EU „herumstupsen“ zu lassen. Glaubt jemand im Ernst, die österreichische Neutralität könnte militärisch gegenüber den EU-Mitgliedsländern behauptet oder durchgesetzt werden? Das ist nicht einmal symbolisch möglich so wie das Bundesheer auch in Zeiten des „Kalten Krieges“ nie ernsthaft in der Lage gewesen wäre einen militärischen Angriff zu verhindern. Und symbolisch ist das wohl auf einer politischen Ebene wesentlich effizienter und vor allem billiger zu haben.

Mit ihrer parteitaktischen Festlegung auf Wehrpflicht kontra Berufsarmee schließt die Regierung nicht nur andere Varianten wie die Abschaffung aus, sondern verwischt bewusst auch, dass sowohl die Befürworter einer Berufsarmee als auch jene der Wehrpflicht das Bundesheer als Bestandteil einer Euro-Armee sehen und in diese integrieren wollen.  Gleichzeitig wird damit suggeriert, man müsste sich auch im Zweifel für eine der beiden Positionen entscheiden, ganz so als ob es ein ungültiges Votum als Variante drei nicht gäbe.

Völlig ignoriert wird von den Bannerträgern der Wehrpflicht aber vor allem, dass die Zeit der Massenheere schon länger vorbei ist. Im Zeitalter von ABC-Waffen, Weltraumrüstung, Drohnen-Kriegen elektronischer Kriegführung, Privatarmeen und Bürgerkriegen ist es doch ziemlich illusorisch zu glauben, dass die allgemeine Volksbewaffnung eine Perspektive hat. Ganz davon abgesehen, dass die von manchen so gepriesene Volksbewaffnung leider in Form massenhaft in Privatbesitz befindlicher Waffen schon längst existiert, was wiederum regelmäßig zu Massakern durchgeknallter Familienväter führt, die Angehörige oder gleich die ganze Familie ausrotten.

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