Toxisch & verantwortungslos?

Die Wahlerfolge der KPÖ – 2021 bei der Gemeinderatswahl in Graz, 2023 bei der Landtagswahl und erst recht 2024 bei der Gemeinderatswahl in Salzburg – haben das politische und mediale Establishment in eine veritable Deutungskrise gestürzt. Über Jahre hinweg waren Parteien, Medien und Expert:innen gewohnt (zumindest indirekt) die FPÖ hochzuschreiben – um gleichzeitig alarmistisch vor der Gefahr von rechts zu warnen.

Gleichzeitig wurden von den Lohnschreiber:innen des Kapitals die als Garanten der „liberalen Demokratie“ geltenden Parteien – ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS – als gefälligst zu wählende Parteien dargestellt. Nun muss man sich gezwungenermaßen mit einer unerwarteten Entwicklung auseinanderzusetzen. Rosemarie Schwaiger konstatiert boshaft wie treffend „Diese Entwicklung bringt geübte Kommentatoren des politischen Geschehens von Peter Filzmaier abwärts erkennbar außer Tritt“ (Presse, 13.3.2024).

Dabei ist man hin und hergerissen: Einerseits mit der Reduzierung auf den Erfolg von Personen wie Kahr oder Dankl, nicht „der“ KPÖ. Andererseits mit historischen Untergriffen, zu denen frei nach Kreisky nur zu sagen ist „Lernen Sie Geschichte!“. Denn warum müssen Lokalpolitiker:innen der KPÖ ständig die Weltpolitik und Weltgeschichte erklären und verantworten, was bei anderen Parteien kein Thema ist? Da geht es doch wohl darum, zur Ablenkung vom Versagen der etablierten Politik – vor allem wenn es um Wohnen, Soziales und Vermögensverteilung geht – der KPÖ kräftig was aufs Zeug zu flicken.

Den Vogel hat dabei zweifellos Altkanzler Wolfgang Schüssel – „die Bourgeoise in ihrer Schrumpfvariante“ (Standard, 15.3.2024) – abgeschossen. Er meint „Die Marke ist toxisch“, die „sollte man heutzutage nicht einmal mehr in den Mund nehmen“ und empfiehlt „die Marke blitzartig aufzugeben“ (Presse, 13.3.2024). Ausgerechnet jener Kanzler, der nicht nur Schwarz-Blau salonfähig machte, sondern mit seinem politischen Zögling Sebastian Kurz de facto auch die Weichen für das Versinken nicht nur seiner eigenen Partei in einem Korruptionssumpf sondergleichen mit nachhaltiger Vergiftung des Ansehen der Politik insgesamt gestellt hat. Dass Schüssel in einem Atemzug erklärt der FPÖ-Chef „Kickl ist kein Dämon“ (Presse, 12.3.2024) entlarvt den Schwarz-Blau-Koalitionär von 2001 als Weichensteller für eine FPÖ-Kanzlerschaft und wirklichen Giftmischer.

Ergänzt und getoppt wird Schüssel von der nö Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die das Antreten der KPÖ als „verantwortungslos“ bezeichnet (Krone, 15.3.2024) Da fehlt nur noch die Forderung für ein Parteiverbot. Doch die FPÖ-Koalitionärin ist gnädig und meint für linksextreme Parteien gäbe es genug andere Namensvorschläge. Kanzler Karl Nehammer meint schließlich als Draufgabe „KPÖ PLUS“ in Salzburg sei ein „veritables Unheilsversprechen“ (OÖN, 16.3.2024).

„Als Ideologie diskreditiert, mit der Hülle erfolgreich: das Phänomen KPÖ“ arbeitet sich Oliver Pink an der KPÖ ab (Presse, 9.3.2024). Was ihn verstört, ist eine „gewisse Distanzlosigkeit zum Kommunismus in seiner historischen Form“ und er lässt sich über die „Verbrechensgeschichte“ der Kommunisten aus (Presse, 12.3.2024). Ja schlimmer noch beklagt er, dass sich „die KPÖ von Stalin distanziert, von Karl Marx tut sie es freilich nicht“. Karl Marx als Urvater aller Verbrechen? Wie erst recht muss für Pink Bertolt Brecht ein Gräuel sein, der in seinem „Lob des Kommunismus“ schrieb: „Die Ausbeuter nennen ihn ein Verbrechen. Wir aber wissen: Er ist das Ende der Verbrechen.“

Karl Gaulhofer nennt den KPÖ-Hype „Das nette Gespenst des Kommunismus“ (Presse, 14.3.2024). Er sieht die KPÖ als Bürgerschreck mit der Marx´schen Erkenntnis von der „Aufhebung des kapitalistischen Eigentums an den großen Produktionsmitteln“ und sogar mit der „Diktatur des Proletariats“, aber leider würden die Wähler:innen die „Caritas des urbanen Kommunismus sympathisch finden“.

Die Welt versteht auch Anneliese Rohrer in Bezug auf die KPÖ nicht mehr und meint „Gewissen Wählerschichten sind die internationale Reputation Österreichs und das Image des Landes als unsicherer Kantonist in Bezug auf Russland völlig egal“ (Presse, 9.3.2024). Nicht genug, warnt Rohrer – nun schon fast in Panik – „Ein Drittel der Österreicher hält die KPÖ ohne parlamentarische Erfahrung seit 80 Jahre für geeignet, an einer Regierung beteiligt zu sein“ und dass „viele aus Ahnungslosigkeit die Kandidaten der KPÖ in Graz oder Salzburg attraktiv finden. (Presse, 16.3.2024). Wobei Rohrer freilich eine „dahinsiechende Autorität der beiden ehemals staatstragenden Parteien SPÖ und ÖVP“ einräumen muss.

Bei so viel Erkenntnis kann auch Hans Rauscher – „Hans-Dampf-in-allen-Gassen“ der „liberalen Demokratie“ – nicht zurückstecken. Er beklagt, dass sich der politische Frust in „scheinbar unlogischen Protestwahlen äußert“ (Standard, 12.3.2024) und Rauscher attestiert dem Kommunismus „jahrzehntelang in Österreich eine Garantie für größtmögliche Wählerabscheu“ gewesen zu sein. Da muss der Wiederaufstieg der jahrzehntelang notorisch für tot erklärten KPÖ wohl die Rache der Geschichte an den professionellen Antikommunisten vom Schlage des Herrn Rauscher sein. Und der als Staatsideologie geltende Antikommunismus hat dann doch etwas zu viel gesiegt.

Seinen Senf dazugeben muss auch der neoliberale Vordenker Franz Schellhorn, Chef der „Denkfabrik“ Agenda Austria: Er muss eingestehen „Kommunisten hatten in Österreich nie einen besonders leichten Stand. Sie wurden bestenfalls belächelt, meistens nicht einmal ignoriert“ (Presse, 16.3.2024). Was Schellhorn nicht hindert, der KPÖ die Verbrechen der Weltgeschichte aufzulasten. Und zu beklagen „Kurioserweise sind es nicht zuletzt die Bessergestellten, die auffallend gern kommunistisch wählen“ um „auf die billigste Art und Weise ein wenig Weltoffenheit zu heucheln“, wodurch „aus dem konservativen Stadtbürger ein unberechenbarer Bonvivant“ wird.

Sein Ratschlag „Kommunisten bekämpft man weder mit immer neuen Geldgeschenken, noch mit mahnenden Hinweise auf deren blutige Vergangenheit. Sondern mit einer vernünftigen Wohnungspolitik“ darf beim Wort genommen werden. Doch dürfte diesem Ansinnen das Interesse von Schellhorns Immobilien-Klientel – das maßgeblich die Agenda Austria finanziert – entgegenstehen.

Als „Dunkelrot gefärbte Spießigkeit“ sieht Michael Völker den Wahlerfolg der KPÖ in Salzburg (Standard, 11.3.2024). „Kommunistenverharmlosung wird mit Sicherheit wunderbar funktionieren“ orakelt der als politische Geisterfahrer bekannte und aktuell als Politexperte agierende Rudolf Fußi und lamentiert denunzierend über „Dankl, den Norbert Hofer der KP“ (Twitter, 10./11.3.2024).

Seinen Senf muss auch der Ex-Grüne Alt-Trotzkist Peter Pilz dazugeben, er meint die Wähler:innen „haben für ein soziales Salzburg gestimmt, trotz KPÖ“ und übt sich als Orakel „der Name wird die Partei wie ein Stalinorden aus Beton hinunterziehen“ (ZackZack, 11.3.2024).

Über „Linkspopulismus mit Samthandschuhen“ schreibt das Fellner-Blatt (OE24, 12.3.2024) und zitiert, dass die FPÖ alles unternehmen will, um „Kommunisten im Rathaus zu verhindern“ – da sind sie leider zu spät dran. „Dankl habe im bisherigen Wahlkampf in Sachen Mieten „das Blaue vom Himmel“ versprochen“, versucht SPÖ-Spitzenkandidat Auinger seinem Kontrahenten in der Stichwahl auszustechen (Standard, 11.3.2024).

Bei all diesen Weisheiten diverser Auguren ist schließlich eine Schlussfolgerung von Schwaiger aufschlussreich: Sie meint zwar auch ähnlich wie Schüssel, dass jeder recht hat, der „das Revival der Kommunisten für einen geschichtsvergessenen Irrweg der Wähler“ aber Moralpredigten würden nichts helfen. Sie empfiehlt angesichts der „Selbstauflösung“ des Salzburger Wohnungsmarktes de Parteien, allen voran der ÖVP „einfach zwischendurch die Immobilienanzeigen studieren“ um das Problem zu erkennen.

Recht gelassen sieht die Debatte hingegen der Philosoph Franz Schandl: Für ihn ist Dankl „der nette Junge vom nebenan, fast wie ein Posterboy, vom Bürgerschreck keine Spur“, der „klassisch sozialdemokratische Forderungen und Positionen“ vertritt (Presse, 13.3.2024). Er sieht den Wahlerfolg als „Projekt äußerer Projektionen“ um festzustellen „Der Antikommunismus ist kein Supertrumpf mehr.“ Und auch Günter Traxler beruhigt und meint „Einen Überschuss an marxistisch-leninistischer Theorie muss Schüssel nicht befürchten, da schon eher eine Praxis, die sich von der seiner Partei deutlich unterscheidet“ (Standard, 15.3.2024).

Die große Sorge des Establishments ist unverkennbar, ob der Wahlerfolg von Salzburg die KPÖ im Herbst in den Nationalrat hieven könnte. Als sicher gilt aber, dass das jahrzehntelang als geradezu eisern geltende Parteiensystem zunehmend fragil geworden ist. Wobei der herrschenden Klasse eine mögliche Kanzlerschaft der FPÖ wohl weniger Sorge bereitet als ein Wiedereinzug der seit 1959 notorisch für tot erklärten KPÖ.

Der Unterschied liegt auf der Hand: Die FPÖ ist ein untrennbar mit dem neoliberalen Kapitalismus verbunden, vertritt aber eine verschärfte, autoritäre und letztlich faschistische Version. Die KPÖ hingegen stellt eben diese auf schrankenloser Konkurrenz, Ungleichheit und Ausgrenzung beruhende Gesellschaft in Frage. Worum es geht, ist eine zukunftsorientierte linke Politik, die freilich mehr sein muss als ein „wohlmeinender Paternalismus gegenüber den Lohnabhängigen“ wie Andre Brie konstatiert (Sozialismus 3/2024).