Neoliberale Leuchttürme

Im Vorfeld der Parteienverhandlungen über die neue Grazer Stadtregierung konstatierte die künftige Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) „Wir betrachten die Stadt Graz nicht als Unternehmen (Standard, 24.10.2021) und stellte dazu auch klar: „Nicht die Investoren sollen das Tempo der Stadt angeben“.

Ob die Bundes- und Landes-SPÖ mit der dazu erfolgten Aussage ihres Grazer Parteichefs Michael Ehmann (SPÖ) und Koalitionspartners der rot-grün-roten Stadtregierung, die Stadt „als Dienstleister am Bürger und an der Bürgerin“ und nicht als „politische Selbstdarstellung“ zu sehen und die „Auswüchse der Anleger“ zu beenden, erfreut ist, darf bezweifelt werden. Jedenfalls ist der künftigen Koalition in Graz viel Glück zu wünschen, diese Haltung durchzusetzen, denn die Widerstände des ökonomischen, politischen und medialen Establishments sind vorprogrammiert.

Bekanntlich hat der Wahlsieg der KPÖ in Graz die politischen Eliten weit über die steirische Landeshauptstadt hinaus in tiefe Verwirrung gestürzt. Politik und Medien sahen sich veranlasst in die tiefste Mottenkiste zu greifen und der Grazer KPÖ die Geschichtslast sämtlicher Fehlentwicklungen, Verfehlungen und Verbrechen der kommunistischen Weltbewegung und des gescheiterten realen Sozialismus umzuhängen.

Eine Kaskade von Vorwürfen, die von eben diesen Kritiker*innen in Bezug auf den realen Kapitalismus niemals erhoben würde. Das ist zwar für die Reaktionäre aller Schattierungen nicht wirklich überraschend, demaskiert aber die angeblich so weltoffene Denkweise der sogenannten Liberalen vom Schlage eines Hans Rauscher (Standard) oder Florian Klenk (Falter). Die KPÖ einfach als Normalität zu betrachten, geht für das Establishment gar nicht, denn da geht – zumindest in Österreich – immer noch der klassische Antikommunismus vor.

Doch hinter der Welle eines wüsten und historisch antiquierten Antikommunismus verbirgt sich eine massive Verunsicherung der etablierten Politik, wenn ihren aktuelle Praxis auf den Prüfstand gestellt wird. Denn egal wie immer man die Politik der KPÖ in Graz beurteilen mag, dass sie zur Nummer eins werden konnte stellt die – ganz im Sinne von Margaret Thatchers Dogma „There is no alternative“ als alternativlos erklärte – neoliberale Politik zumindest auf der kommunalen Ebene in Frage.

Grundlegende Wesenszüge des Neoliberalismus sind bekanntlich schrankenlose Konkurrenz, die Kehrseite bzw. Folge ist die gezielte Zerstörung von gesellschaftlichem Zusammenhalt und Sozialstaat, von kollektiver Verantwortung und von Solidarität. Das wird auf der kommunalen Ebene vor allem dadurch deutlich, dass Gemeinden und Städte entsprechend der neoliberalen Standortlogik als Unternehmen betrachtet werden, die gefälligst gegeneinander zu konkurrieren haben. Wobei die Bürgermeister*innen als Geschäftsführer agieren sollen und der gewählte Gemeinderat zum Aufsichtsrat degradiert wird.

Deutlich wir das beispielsweise um die auch in Oberösterreich periodisch aufflammende Debatte um Gemeindezusammenlegungen. Betreiber dabei ist bezeichnenderweise die Industriellenvereinigung, die auf politischer Ebene etwa von den NEOS unterstützt wird. Im Gegensatz dazu sind die großen Parteien ÖVP, SPÖ und FPÖ dabei sehr zurückhaltend. Warnte doch der oö Gemeindebund ziemlich eindeutig „Gemeindezusammenlegun­gen sind ein Garant, Wählerstim­men zu verlieren” (linza.at, 27.10.2021). Und die Erfahrungen in der Steiermark, wo die schwarz-rote Landeskoalition eine Zwangsfusion durchpeitschte, waren bekanntlich auch nicht überzeugend. Zumal sogar Kritiker einräumen müssen, dass damit die so lautstark propagierten Kosteneinsparungen kaum erzielt wurden.

Auch hinter dieser manischen Fusionitis steckt die Denkweise, Gemeinden als Unternehmen zu betrachten. So meint etwa Lorenz Potocnik – nach 2015 Gemeinderat der NEOS und von diesen in ziemlich turbulenten Unruhen geschieden ab 2021 Mandatar einer Bürgerliste in Linz sowie selbsternannter Stadtentwickler – ganz auf dieser Welle: „Die Konkurrenten für Linz, Wels oder Enns sind nicht jeweils die anderen – sondern Salzburg, Graz, Wien, Süddeutschland, Böhmen und andere wirtschaftlich starke Regionen in Europa”.

Verstärkt wurde diese Denkweise, Kommunen als Unternehmen zu betrachten, durch die seit 1997 auch in Oberösterreich praktizierte Direktwahl der Bürgermeister*innen. Als deren Folge Kompetenzen und Machtpositionen der Gemeindeoberhäupter so gestärkt wurden, dass sie den von der Bevölkerung gewählten Gemeinderat zunehmend als lästiges Anhängsel betrachten. Begünstigt wird das durch die wachsende Auslagerung von Kompetenzen in ausgegliederte Gesellschaften.

Insbesondere in den Landeshauptstädten ist zu beobachten, dass sich die Bürgermeister*innen verschiedener Couleur in ihrer Amtszeit zeitgeistig als „Leuchtturmprojekte“ gepriesene Denkmäler setzen wollen und die ihnen anvertraute Kommune als Nabel der Welt betrachten. In Linz zeigte sich das unter den Bürgermeister Franz Dobusch (1986-2013) und Klaus Luger (seit 2013) beim Hochstilisieren der Stadt – um das gestrige Image als staubige Industriestadt loszuwerden – von der Kulturhauptstadt (2009) bis zur Sozialhauptstadt, Innovationshauptstadt und Klimahauptstadt. Und „Linz ist die Hipster-Hauptstadt Österreichs“ jubelte man auf der Facebook-Seite der Landeshauptstadt (heute, 17.11.2020). Linz, quasi als Hauptstadt für alles und nichts…

In Graz machte der bei seinen Höhenflügen wie Ikarus schmählich abgestürzte schwarze Bürgermeister Siegfried Nagl die Stadt zum Spielball von Investoren und wollte sie mit Projekten wie einer milliardenschweren U-Bahn behübschen. Da will man in Linz nicht zurückstecken: Insbesondere unter Bürgermeister Luger wurde ein Hochhaus nach dem anderen hochgezogen, die Wünsche der Investoren waren für die von 2015 bis 2021 agierende rot-blaue Mehrheit quasi Befehl.

Als „Leuchtturmprojekt der Stadtentwicklung“ ließ der vormalige Planungsreferent VBgm. Markus Hein (FPÖ) im Stadtmagazin „Lebendiges Linz“ (April 2021) das Hochhaus „Quadrill“ hochjubeln. Linz ist zwar eine Hafenstadt, aber solche „Leuchttürme“ benötigt werden, darf bezweifelt werden. Die Verhunzung der Stadt mit planlos hochgezogenen Türmen im Interesse dubioser Investoren schreitet jedenfalls voran. Nicht genug damit träumt man von Seilbahnen und Flugtaxis, nachdem das Projekt einer weitgehend unterirdischen Straßenbahnlinie 4 aus Kostengründen erwartungsgemäß recht schmählich gescheitert ist, wovor die KPÖ von Anfang an gewarnt hatte.

„Die SPÖ will Linz fit für die Zukunft machen“ verkündete der sich mittlerweile vom Sozialdemokraten zum „Sozialliberalen“ gewandelte Bürgermeister Luger schon im Oktober 2018. Als Zauberworte dazu verkündete er „Innovation, Gründertum und Digitalisierung“. Und den Anspruch Linz „zu einer der führenden Städte Europas“ zu machen. Bei so viel Fitness und Modernität musste die noch einige Jahre zuvor verkündete Parole von Linz als „Sozialhauptstadt“ Österreichs und Europas zwangsläufig zurücktreten und man hört davon nichts mehr. Was allerdings auch den Sparzwängen der Stadtsenatsparteien geschuldet ist.

Wohl zu diesem Zweck einer zeitgeistig-neoliberalen Imagepflege hat Luger sogar der ÖVP das als ihre Erbpacht betrachtete das Wirtschaftsressort entzogen, dafür mit dem unpopulären Verkehrsressort beschenkt. Ob dies ein Racheakt dafür war, dass die ÖVP auf Landesebene der SPÖ das von ihr ebenfalls als Erbpacht betrachtete Sozialressort (und den Grünen das Integrationsressort) weggenommen und dem politischen Scharfmacher Hattmannsdorfer anvertraut hat oder ob das umgekehrt war, wird sich wohl nicht eruieren lassen.

Jedenfalls sollten die Stadtchefs ihre Funktion dahingehend hinterfragen, ob sie mit ihren Prestigeprojekten richtig liegen. Wie Graz gezeigt hat, wollen die Menschen bei ihren alltäglichen Problemen wahrgenommen werden und lassen sich gerade in schwierigen Zeiten nicht auf Dauer mit dem Phantom diverser „Leuchtturmprojekte“ beschwichtigen. Die Aufgabe einer zukunftsorientierten Kommunalpolitik muss es daher sein, die Städte und Gemeinden wieder und verstärkt als Gemeinwesen zu sehen und nicht als Spielball von dubiosen Investoren, die auf Kosten der Bevölkerung den schnellen und maximalen Profit machen wollen.