Albtraum im Grünen

Die Immobilienbranche schlägt Alarm: „Halbjahr: 16 Prozent weniger Einfamilienhäuser verkauft“ (OÖN, 28.10.2023). Nach zehn Jahren starkem Anstieg jetzt Stagnation bei den Preisen. Na, sowas. Im ersten Halbjahr 2023 wurden laut Remax österreichweit nur 3.890 Einfamilienhäuser verkauft, ein Minus von 16 Prozent. Na, wenigstens hat der Durchschnittspreis um 0,9 Prozent auf 350.473 Euro etwas angezogen.

Höhere Zinsen und verschärfte Kreditvergaberichtlinien lassen den „Traum vom Eigenheim“ als Aushängeschild für „ein gelungenes Leben“ zunehmend verblassen. Ja hat die Häuslbauer-Clique in Politik und Bauwirtschaft wirklich geglaubt, dass das Zubetonieren der Landschaft mit „Wohnen im Grünen“ endlos weitergehen kann?

Damit rückt unweigerlich ein brisantes Thema in die Debatte – der zigtausendfache Leerstand bei Eigenheimen. Und sogar „Kommunal“, die Zeitschrift des ÖVP-beherrschten Gemeindebundes muss sich dem Thema widmen (Kommunal 8-9/2023). Und wenn die Bürgermeister:innen diese Ausführungen lesen, müssen sie eigentlich wegen politischer Inkompetenz im Boden versinken.

Rund 1,5 Millionen Einfamilienhäuser gibt es in Österreich – aber zu selten wird thematisiert, dass dieser riesige Bestand von relativ wenigen Menschen bewohnt wird. Die Autoren Torsten Klafft und Roland Gruber sehen hier ein Megathema in Hinblick auf CO2-Verbrauch, Versiegelung und Infrastruktur, zumal weiterhin unverdrossen unversiegelte Flächen als Bauland ausgewiesen werden. Doch „die emotionale Bindung zum Eigenheim verdeckt die tatsächlichen Probleme“.

In Deutschland und Österreich entfallen 70 Prozent der Fläche und 60 Prozent der Einwohner:innen auf die Bevölkerung auf rurale, also ländliche, Gebiete – und das sind vorwiegend Einfamilienhäuser. Gebaut wird immer seit Jahrzehnten immer stärker im „Grünen“ während gleichzeitig die Ortszentren ausbluten.

Der Zyklus ist bezeichnend:
– Der Traum von „Wohnen im Grünen“ ist hegemonial und wird von Politik und Wirtschaft – vor allem für junge Familien mit Kleinkindern – propagiert.
– Dementsprechend wird im großen Stil „mit mehreren Kinderzimmern“ gebaut, unter hundert Quadratmeter Wohnfläche ist es nicht getan, „Nicht kleckern, sondern klotzen“ ist das Motto.
– Dafür werden Milliarden an Wohnbauförderung auf Kosten der Errichtung leistbarer Mietwohnungen im sozialen und gemeinnützigen Wohnbau gepumpt.
– Gleichzeitig ist die Abhängigkeit durch Kreditrückzahlungen über mindestens 25 Jahre vorprogrammiert. Womit verbunden mit der „Bindung an die Scholle“ politisches Engagement möglichst ausgeschlossen werden soll, wie schon der französische Soziologe Pierre Bourdieu in seinem Werk „Der Einzige und sein Eigenheim“ erkannte.
– Wenn dann das Haus endlich ausfinanziert ist sind Erhaltungsmaßnahmen fällig, der Kostendruck geht weiter, weil oft auch „die Rente kaum zum Heizen des großen Hauses“ reicht und der Traum „im wohlverdienten Rentenalter zur Kostenfalle“ wird.
– Nach zwei Jahrzehnten sind auch die Kinder aus dem Haus und wohnen nur mehr zwei, oft nur mehr eine Person in einem viel zu großen Objekt, weil das „Einfamilienhaus als Lebenstraum vermarktet und nicht als Wohnlösung für einen Lebensabschnitt für Familien“ wurde.

Einfamilienhäuser sind flächenintensiv und durch das kleinteilige Bauvolumen nur aufwendig zu heizen, was „durch dicke Dämmpakete nur kaschiert werden kann“. Die Lebensverhältnisse im „Grünen“ sind nur durch das Auto gewährleistet, gleichzeitig haben Dörfer und kleinere Orte „praktisch keine Versorgungsaufgaben mehr und ihre Identität verloren“. Das neoliberale Dogma „nur wer sich permanent bewegt, kann noch am Leben teilhaben“ schlägt auf grausame Weise auf Menschen (nicht nur) im Alter zurück.

Der Prozess der Zersiedelung und die stetige Nachfrage nach neuem Bauland – statt vorhandenen Leerstand zu nützen – hat nicht nur viel Verkehr, hoher Flächen- und Ressorcenverbrauch und wenig Lebensqualität zur Folge, sondern wirkt sich auf die Natur aus, Insekten, Vögel und Amphibien leiden, die Biodiversität ist drastisch zurückgegangen, die Wasseraufnahmefähigkeit der Böden wird geringen, der Bedarf der Baubranche an Rohstoffen wächst. In Deutschland und Österreich kommen auf eine Person rund 490 Tonnen Rohstoffe – das meiste davon in Wohngebäuden. Der Gebäudebestand ist ein riesiges Rohstofflager von geschätzt 1,5 Milliarden Tonnen Material und pro Jahr weitere 50 Millionen Tonnen an Baustoffen.

Das klassische Eigenheim im ländlichen Raum ist eine Monokultur des Mehrpersonenhaushaltes – klassisch die Jungfamilie mit mehreren Kindern – entspricht aber angesichts einer Scheidungsquote von um die 50 Prozent und steigender Lebenserwartung – längst nicht mehr dem „hochindividualisierten Lebensstil“ von heute. Der Bau- und Immobilienbranche ist das freilich wurscht, für sie zählt nur der Profit mit dem Wohnen.

Während die Typologie des Einfamilienhauses für ältere Paare oder Alleinstehende zur Belastung wird fehlen Angebote für ein altersgerechtes Wohnen außerhalb des Pflegeheimes. Befeuert wird das mit dem Dogma, wonach die Pflege zuhause angeblich das Optimum ist und ebenso durch das Besitzdenken. Da wohnen Alleinstehende lieber auf 200 Quadratmeter als das Haus zu verkaufen und in eine passende Kleinwohnung zu ziehen oder lassen es lieber sogar leerstehen. Schätzungen zufolge gäbe es in Österreichs schon bestehenden, aber unterbelegten Einfamilienhäusern Platz für rund drei Millionen Menschen. Gleichzeitig wird gejammert, dass junge Familien keinen leistbaren Wohnraum finden, schon gar nicht mit Garten.

Hinter dem Traum vom Eigenheim stehen laut dem Soziologen Marcus Menzl Bedürfnisse wie „Selbstwirksamkeit, Selbstverwirklichung, Status, Sinnstiftung, Freiheit, Sicherheit und Altersvorsorge“. Realistisch betrachtet sind das freilich ziemlich hohle Floskeln. Paradox dabei ist, wenn die „vollständige Autonomie des Individuums“ und der Anspruch auf „absolute Privatheit“ dann in der Verschanzung der Eigenheimbewohner:innen hinter meterhohen Thujen oder den zeitgeistigen Steingärten zum Ausdruck kommt. Man hat ja alles beim Haus – Swimmingpool, Hüpfburg, Rutsche, Sauna, Carport und ähnlichen Schnickschnack – wozu braucht man noch gesellschaftlich wichtige und für die Entwicklung der Kinder wichtige Einrichtungen wie öffentliche Freibäder oder Spielplätze.

Doch „Wohnen ist immer ein Miteinander“ und „die Vermeidung von nachbarschaftlicher Nähe wird immer problematischer“. Es braucht also ein Umdenken in der Gesellschaft, zu erkennen „mein Haus loslassen, wenn ich es nicht mehr selbst bewirtschaften kann“. Umgekehrt der Abschied vom „Traumhaus im Grünen“ als Neubau, wenn es schon zur Genüge leerstehende Eigenheime gibt, die von jungen Familien (in Miete oder auch durch Kauf) genützt werden können.

Aktuell wird darüber debattiert, die Neuversiegelung in Österreich auf 2,5 Hektar pro Tag zu begrenzen. Für Wirtschaftslandesrat Achleitner (ÖVP), der die oberösterreichische Raumordnung als eines der „schärfsten Gesetze der Republik“ hochjubelte, ein „ideologisches Kartenhaus“ (OÖN, 21.10.2023) und in Oberösterreich angeblich unmöglich – bei zuletzt 4,3 Hektar Versiegelung pro Tag aus der Sicht einer klassischen Betoniererpartei nicht überraschend. Ein Umdenken, um Altes zu bewahren und Ressourcen einzusparen, im Bestand, statt neu zu bauen, wird durch die geltenden Gesetze für Raumordnung und Bauen erschwert und von der konservativen Politik ebenso in Abrede gestellt wie der Klimawandel. Hat man doch (nicht nur, aber speziell) den ländlichen Raum „weitgehend marktwirtschaftlichen Mechanismen überlassen“ wie der Architekt Jörg Heiler konstatiert.

Das Konzept „Eigenheim“ stammt aus den Wirtschaftswunderjahren nach dem Zweiten Weltkrieg und ist der „imperialen Lebensweise“ im reichen Norden auf Kosten des Südens geschuldet. Lagen Wohnungen früher direkt neben Geschäften und Dienstleistern zentral im Ortskern, wucherten in den letzten Jahrzehnten Siedlungen immer weiter in das Grünland hinaus. Das Auto als Statussymbol machte den Traum vom Wohnen im Grünen möglich. Die Folgen sind fatal: Eine hemmungslose Zersiedelung, die in Oberösterreich – unübersehbar im Vergleich zum benachbarten Bayern – besonders ausgeprägt ist, die Abhängigkeit vom Auto ist enorm, die Ortskerne sterben aus (Standard, 14.10.1023).

Das Ökologie-Institut hat Konzepte nicht nur für einzelne Häuser, sondern auch für den öffentlichen Raum, etwa um in Siedlungen einen zentralen Platz, wo sich Bewohner:innen treffen und Potenzial für Bäume vorhanden ist und Energiegemeinschaften oder nachhaltige Mobilität gefördert werden können. Doch die Begeisterung der Siedlungsbewohner ist begrenzt. Kaum jemand will sein Haus in ein solches Projekt einbezogen wissen, zu sehr dominiert das „My Home is my Castle“-Denken. Da lässt man lieber die Hütte leerstehen und spekuliert auf einen möglichst hohen Verkaufspreis.

Undenkbar, die leer stehende Haushälfte oder ein Geschoss für Wohnungssuchende zu leistbarer Miete zur Verfügung zu stellen. Und schon gar nicht vorstellbar ist offensichtlich, eine lose Verbauung mit Einfamilienhäusern zu einer kompakten Siedlung zu verdichten, wie etwa mit einem Konzept in Götzis (Vorarlberg) vorgeschlagen, das aus elf Einzelobjekten mit gerade 24 Bewohner:innen fünf Winkelhöfe für 130 Menschen mit für alle nutzbaren Plätzen und gemeinsamer Gartennutzung schaffen würde.

Als Resümee erweist sich das geheiligte Privateigentum in Verbindung mit dem neoliberalen Egomanismus also ein massives Hemmnis für eine gedeihliche Entwicklung der Gesellschaft du das Konzept Eigenheim als Albtraum im Grünen.