Trumps durchsichtige „Sorge“

Schon zu Zeiten des Staatssozialismus tauchte regelmäßig wie das Ungeheuer vom Loch Ness im Sommerloch die Warnung auf, die „Russen“ würden uns das Gas abdrehen. Geschehen ist das zwar nicht einmal in Zeiten des „Kalten Krieges“ und insbesondere Österreich ist – gestützt auf seine 1955 verkündete immerwährende Neutralität – sowohl mit der Gasversorgung als auch mit dem Osthandel insgesamt stets recht gut gefahren. Denn ungeachtet der Spannungen zwischen Ost und West und der militärischen Hochrüstung war die Sowjetunion immer ein verlässlicher Handelspartner.

Nun ist die UdSSR zwar seit 1991 Geschichte, aber die Warnung, dass uns die Russen das Gas abdrehen würden feiert immer wieder fröhliche Urständ. In besonderer Weise hat sich das nun US-Präsident Donald Trump zu seiner höchst persönlichen Sorge gemacht und droht allen Unternehmen, die sich an der Fertigstellung von North Stream 2 – einer Gaspipeline durch die Ostsee von Russland nach Deutschland unter Beteiligung der halbstaatlichen österreichischen OMV – beteiligen mit Sanktionen. Das Schweizer Unternehmen Allseas hat sich infolge dieser Warnungen bereits vertragsbrüchig aus Angst vor Einreiseverboten oder Beschlagnahme von Firmenvermögen in den USA aus den Arbeiten an der Pipeline zurückgezogen.

Nun weist sogar Christian Ultsch (Die Presse, 22.12.2019) das Vorgehen des US-Präsidenten – der sich in dieser Causa bezeichnenderweise sowohl auf seine Republikaner als auch auf die Demokraten stützen kann, was einmal mehr das System der Machtausübung des US-Kapitals mit seinen beiden Zwillingsparteien charakterisiert – als „völlig unakzeptabel“ zurück und schreibt über eine „ungebetene und durchsichtige Zwangsnachhilfe aus den USA“. Denn Europa sei kein „duckmäuserischer Vasall“, der vor „höchst fragwürdigen Gesetzen, die exterritoriale Gültigkeit beanspruchen“ wie dem wörtlich als „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“ in die Knie gehen dürfe. Soweit so gut.

Allerdings meint Ultsch gleichzeitig, es sei „kurzsichtig von den Europäern, sich Russland energiepolitisch auszuliefern“, spricht also aus einem Munde mit dem US-Präsidenten. Womit deutlich wird, dass der Unterschied beim Heucheln über die Sorge vor der „Abhängigkeit“ nur darin besteht, wer die Interessen des US-Kapitals und wer jene des EU-Kapitals vertritt, die sich durchaus nicht wohlgesonnen sind.

Nun ist es mit Sanktionen so eine Sache, dass sie nämlich nur in seltenen Fällen jene Wirkung erzielen, die beabsichtigt ist. Meist forcieren sie eine Verschärfung der Spannungen – was wahrscheinlich wie gerade am Beispiel Trump wohl auch beabsichtigt ist. Eines ist aber ganz sicher: Wer sich einerseits in seinen politischen Sonntagspredigen über die Segnungen von Globalisierung und Freihandel ergötzt und an Werktagen Sanktionen gegen missliebige Handelspartner verhängt hat ein schizophrenes Verständnis internationaler Politik und sieht realitätsfremd die Globalisierung immer nur und immer noch als Einbahnstraße. Also als imperialistisches Herrschaftsinstrument.

Völlig absurd wird das Ganze, wenn vor Abhängigkeiten – im konkreten Fall von Russland – gewarnt wird, aber gleichzeitig die größte Warner selbst der Welt vorzeigen, was Abhängigkeiten bedeuten – nämlich Trump, das politische Establishment der USA und das dahinter stehende US-Kapital, das immer noch wie selbstverständlich davon ausgeht, die ganze Welt zu beherrschen, obwohl unübersehbar ist, dass sich die Welt seit 1991 deutlich gewandelt hat und China in punkto Wirtschaftskraft mit den USA gleichgezogen hat und weitere große Staaten wie Indien, Brasilien usw. zu ökonomischen Playern aufgestiegen sind.

Aber wer hat das – laut allen seriösen Gutachtern bis dahin eingehaltene – Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt, wenn nicht die USA? Wer belegt das politisch als missliebig betrachtete Kuba seit den 1960er Jahren mit strikten Sanktionen und droht Firmen die Ersatzteile für den Flugzeuge oder Medikamente dorthin exportieren mit schärfsten Sanktionen? Wer war treibende Kraft bei den Sanktionen gegen Russland in der Causa Ukraine? Da zeigt doch einer in aller Brutalität vor, dass er den Terminus Abhängigkeit für sich respektive die USA zu reserviert haben glaubt. Und der will sich über unsere „Abhängigkeit“ sorgen?

Es ist leicht durchschaubar, dass die als Reaktion auf die russische Politik gegenüber der Ukraine beschlossenen Sanktionen von der intensiven Einmischung von EU, USA und NATO in der Ukraine und damit von deren Verantwortung für den maßgeblich vom Westen angeheizten Konflikt zu sehen sind. Erst diese Zuspitzung des Konflikts unter maßgeblicher Federführung vom Westen verharmloster extrem-nationalistischer und faschistischer Kräfte in der Ukraine wie sie beim Maidan-Protest 2014 deutlich wurden ermöglichte Russland sich als Schutzmacht der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine, deren Wortführer nicht fortschrittlich, sondern nationalistisch einzustufen sind, aufzuspielen und die Krim in einer zweifelhaften, weil völkerrechtswidrigen Nacht- und Nebel-Aktion zu annektieren.

Es liegt auf der Hand, dass die USA diesen Konflikt nicht nur als Druckmittel gegen Russland benutzen, sondern auch um die EU als Konkurrenz zu schwächen. Denn von den wirtschaftlichen Sanktionen sind die USA nur geringfügig, die meisten EU-Länder und insbesondere auch Österreich nicht nur durch den Exportstopp nach Russland, sondern auch durch den als Reaktion darauf verhängten Importstopp für Nahrungsmittel aus den an den Russland-Sanktionen beteiligten Ländern hingegen hochgradig betroffen.

Das Interesse von USA und EU an der Ukraine gilt nicht demokratischen Standards und Menschenrechten, sondern dem Absatzmarkt, billigen Produktionsstandort und strategischem Vorposten gegen Russland und sind daher als innerimperialistischer Machtkampf zu sehen. Leider wurde die Chance für eine allgemeine Abrüstung nach der Auflösung des Warschauer Paktes Anfang der 1990er Jahre nicht genützt. Im Gegenteil hat die NATO ihre Präsenz in zahlreichen osteuropäische Länder und ehemaligen Sowjetrepubliken in den Vorhof Russlands ausgeweitet und mit zahlreichen Manövern und umfangreichen Kooperationen auch in der Ukraine bereits Fuß gefasst.

Entlarvend ist daher auch in diesem Zusammenhang auch die Feststellung von Ultsch, North Stream 2 „schwächt Transitländer wie die Ukraine und Polen“. Die strikt antirussische Politik der beiden Länder war zwangsläufig mit ein Grund, diese beiden Liebkinder der US-Politik beim Gastransit nach Mitteleuropa links liegen zu lassen. Von Ultsch wird hier aber die Auffassung vertreten, die Ukraine und Polen sollten vom Gastransit profitieren, je sogar wie die Ukraine bis vor einigen Jahren mit besonders günstigen russischem Gas versorgt werden. Würde in diesem Falle also die Gasversorgung dann doch wieder keine „Abhängigkeit“ bedeuten?

Hinter der angeblichen Sorge um die Energieabhängigkeit Westeuropas vom Russen-Gas stecken im Klartext knallharte Geschäftsinteressen: Die US-Regierung will nämlich russische Gasexporte verhindern um ihre „Verbündeten“ mit durch ökologisch zweifelhafte Fracking gewonnenes Flüssiggas zu versorgen und damit den US-Konzernen zu kräftigen Profiten zu verhelfen.

Nun muss man Putin nicht mögen, seine Politik einer „gelenkten Demokratie“ ist ohne Zweifel kritisierenswert. Doch die russische Politik ist berechenbar und als Vertragspartner war Russland immer seriös, so wie früher jene der Sowjetunion. Im Unterschied zu den USA, dessen Präsident zum Unsicherheitsfaktor Nummer eins in der Welt geworden ist. Da hat sogar der ansonsten für seine US-Affinität bekannte Eric Frey eine klare Position, wenn er schreibt „Es darf nicht sein, dass ein US-Präsident, der selbst gerne Putins Handlanger spielt, europäischen Staaten die Energiepolitik diktiert“ (Der Standard, 23.12.2019).